Dem Reutlinger General-Anzeiger sagte BWIHK-Präsident Christian O. Erbe (04. August) im großen Interview rund um die aktuelle wirtschaftliche Lage und anstehende Herausforderungen:
»Unser Wohlstand ist gefährdet«
GEA: Herr Erbe, die deutsche Wirtschaft steckt in der Flaute. […] Wie schätzen Sie als BWIHK-Präsident die Konjunkturlage im Südwesten ein?
Christian O. Erbe: Wir sind knapp an einer Rezession vorbeigeschrammt. Am Horizont stehen die Zeichen immer noch auf Sturm. Darauf müssen wir uns einstellen und dringend was tun, damit wir weiter wettbewerbsfähig bleiben. Denn die deutsche Wirtschaft verliert an Boden.
Sie teilen also nicht die Auffassung von Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne). Er ist trotz Flaute optimistisch und rechnet mit üppigen Investitionen. Rechnen Sie auch mit mehr Investitionen?
Erbe: Investiert wird weiterhin. Aber unsere große Sorge ist, dass die baden-württembergischen Unternehmen in Zukunft mehr im Ausland investieren. […] Das ist schlecht für unser Land. […] Das passiert nicht mit einem großen Knall, sondern ist ein schleichender Prozess. Deshalb wird diese gefährliche Entwicklung von der breiten Öffentlichkeit nicht so stark wahrgenommen.
Was muss aus Ihrer Sicht getan werden, damit dieses wirtschaftliche Ausbluten gestoppt wird und wieder mehr im Südwesten investiert wird?
Erbe: Die Landesregierung muss die Rahmenbedingungen verbessern, damit wir wettbewerbsfähig bleiben. Sie richtet den Blick zu sehr auf die Region. […] Wir stehen in einem globalen Wettbewerb. Über 60 Prozent der Wertschöpfung in Baden-Württemberg kommt aus dem Auslandsgeschäft. […] Deshalb müssen wir den Arbeitskräftemangel bekämpfen. Wir brauchen bessere Bildung, wir brauchen bezahlbare Energie und wir müssen die Bürokratie abbauen. […]
Wenn Sie das Thema Bildung ansprechen. Das liegt in der Zuständigkeit des Landes. Da könnte doch Ministerpräsident Kretschmann helfen?
Erbe: Wir reden auch mit der Landesregierung über dieses Thema. Es gibt ein Beispiel, das zeigt, wie einfach es ginge, wenn man willens wäre: Baden-Württemberg ist das einzige Bundesland, das von ausländischen Studenten, die nicht aus der Europäischen Union kommen, Studiengebühren verlangt. Das Resultat ist ein Rückgang von ausländischen Studenten von 6 Prozent im vergangenen Jahr. […] Wir diskutieren mit dem Wissenschaftsministerium über eine Abschaffung der Gebühren. Leider hat das noch nicht zum Erfolg geführt.
»Unsere große Sorge ist, dass die Unternehmen mehr im Ausland investieren«
Wir reden ja über die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen. Wie stehen Sie zu einem subventionierten Strompreis für energieintensive Unternehmen, wie ihn Herr Habeck fordert?
Erbe: Von dieser Idee halte ich nichts. Denn ein subventionierter Strompreis hilft nur einem kleinen Segment von Firmen. Doch wir haben im Südwesten sehr viele Unternehmen aus Maschinenbau Textilbranche oder Zulieferindustrie, die ebenfalls unter den hohen Energiekosten leiden. Sie bleiben alle außen vor. […]
Ihre Vorschläge wären?
Erbe: Man könnte die Stromsteuer auf ein europäisches Mindestmaß reduzieren. Das käme allen Unternehmen zugute. Zweiter Vorschlag sind Investitionszuschüsse für Unternehmen, die erneuerbare Energien ausbauen. Der dritte Vorschlag sind Strompartnerschaften. […]
Wie ist die Reaktion der Politik auf Ihre Vorschläge?
Erbe: Wirtschaftsminister Habeck zeigt sich bisher noch nicht so offen für unsere Vorschläge. Insgesamt ist die Ampelregierung beim Thema Energie sehr stark auf Strom fokussiert. […W]ir würden uns von der Regierung mehr Technologieoffenheit wünschen. Es ist Zeit anzuerkennen, dass diese Klimaziele nicht realisierbar sind. Das fordern immer mehr Wirtschaftsvertreter.
Gibt es denn keine andere Möglichkeit, um die Klimaziele zu erreichen, ohne die Wirtschaft zu schädigen?
Erbe: Doch, aber das geht nur mit Energieoffenheit. Die Denkschranken müssen fallen.
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